Theorien des moralischen Urteils / bescheißt der Bofrost-Mann?

Es war einmal ein Umstand, den ein lieber Freund mir zutrug und den ich der Leserschaft nun zur Probe der eigenen Moral in aller Kürze darstellen will.

Zunächst der Schauplatz: eine sagenumwobene ostwestfälische Stadt, von der manche behaupten, es gäbe sie gar nicht. Die Protagonisten: Eine Familie mit Faible für überteuerte, heimgelieferte Tiefkühlkost, deren Sohn, wir nennen ihn Basti, und schließlich: der Bofrost-Mann.
Dieser ist der Familie lang bekannt, gern gesehen, so patent, sehr freundlich, Besitzer tiefer Lachfalten und eines ehrlichen Gesichts*. Man lässt sich seine Mini-Bifteki ja auch nicht von irgendwem liefern! Und dieser stolze Mann der Arbeiterklasse mit den ordentlich hochgekrämpelten Ärmeln, anpackend, kälteresistent, zutrauend - schien aber, das muss genannt werden, auch immer ein bisschen gebeutelt. Da gäbe es wohl ein Kind mit schwerer Mehrfachbehinderung, viel Last, viel Leid, wenig Geld. Ein Seufzen, ein Blick in die Ferne. Muss ja! Aber gleich zurück im hier und jetzt, zur Transaktion: mit Lächeln, Freundlichkeit und fast schon so etwas wie Vertrauen.
Nun begab es sich aber zu jener extra herausvordernden Zeit, Winter 2020/21, dass besagtem Freund Unregelmäßigkeiten in der elterlichen Bofrost Abrechnung auffielen. Der Betrag, der vom Konto abgebucht wurde, war bis zu 10% höher als die Summe der online bestellten Ware. Eine Beleganforderung bei Bofrost direkt brachte es nun ans Licht: da sind abgerechnete Waren drauf, die nie bestellt wurden. Wirsing-Hack-Auflauf.
Oh nein!
Aber wer will es verübeln - denn wie Bofrost wirbt: Den mögen alle gern!

Aber wie lange geht das? Wieviele gutbetuchte Renter:innen und reiche kochfaule Eltern mäkliger oder allergiegeplagter Kinder bezahlen für Hackpampe in köstlicher Rahmsoße und würzigem Edamer Käse, die auf dem Tisch des Fahrers landen?
Und ist das eigentlich Mundraub?
Und wie nun weiter? Zwei Fehllieferungen wurden gut dokumentiert. Die dritte soll nun hinzukommen um über weitere Verfahren nachzudenken.
Nun kann es diesen Mittwoch soweit sein. Als special feature zum vermeintlichen Betrug nun auch ein ZusatzCharaktertest: während der Transaktion wird ein Zettel mit Einzelsummen und Endsumme in den Warenkorb des tiefkühlspezialfahrzeugbereiften Wirsingfreunds gelegt. Als Wink und Hemmschwelle.
Ob es hemmt oder ob sich die kulinarischen Vorlieben des Fahrers geändert haben? Da der Argwohn auch meinem Naturell entspricht gehe ich, wie Basti, nicht davon aus. Mit Bedauern. Und wenn ich mir Kohlbergs Moralentwicklungsstufen zur Hilfe nehme, weiß ich auch nicht was zu tun ist. Die Prima-Kerl-orientierung von Stufe 3 lassen wir klar hinter uns, rein legalistisch (Stufe 5) ist natürlich alles klar... Stufe 6 aber, puuh, da kommen die Gewissens- und Prinzipienfragen, kategorischer Imperativ und abstrakte Maxime – und handlungsleitend die Mitsprache aller von Entscheidungen Betroffener... vielleicht ist das die Lösung?
Fortsetzung folgt.

*dramaturgisch ausgeschmückt
NeonWilderness - 2021/02/10 17:53

Hm, ich verorte mich wohl auch eher auf Bahnsteig 4 1/2 bei Kohlbergs Moralstufen, da ich Moralbegriffe oder Pflicht fallweise sehr relativ sehe. Ich halte z.B. Gleichberechtigung für selbstverständlich und nicht disputabel. Allerdings finde ich auch, dass, so rein zur historischen Kompensation, die nächsten 100 Jahre mal Männer zuerst ins Rettungsboot dürften, wenn mal wieder eine Titanic sinkt. Außerdem habe ich eine eigene Straßenverkehrsordnung für mich entwickelt, die womöglich nicht mit "transzendental" beschrieben werden kann.

Wichtig wäre ja, die wahre Motivation des Bofrost-Fahrers zu verstehen: eventuell ist er schon komplett transzendental, fährt die fehlende Hackpampe als Spende per Bofrost-Laster zur Bielefelder Tafel und fakturiert die Kosten dann sozial(istisch) auf eine Vielzahl anonymer Bofrost-Kunden. Who knows? Die Problematik erinnert mich an meine polnische Ex-Putzfrau B., die sich heimlich bei jedem Reinigungstermin einen Fingerbreit meines besten Whiskeys in ihren Kaffeepausenbecher kippte und wegatmete. Irgendwann fand ich's dann doch raus und konfrontierte sie damit, aber bevor wir es richtig ausdiskutieren konnten, musste sie zurück nach Polen, weil einer ihrer daheimgebliebenen Söhne schwer verunglückt war. Ich gab ihr sogar noch 50€, fuhr sie zum Busterminal und sah sie nie wieder. Will sagen: man regt sich vllt. auf über 30ml Whiskey im Gegenwert von 2,14€ aber womöglich war das genau das, was ihr Leben etwas einfacher gemacht hat, getrennt von den Kindern und allein hier in DE.

Andererseits beginnt die Anarchie im Kleinen: wenn Eigentum nicht mehr respektiert wird, fließt irgendwann Blut in den Straßen. Schweres Thema.

eika - 2021/02/12 09:47

zunächst wüsste ich gern mehr über die antitranszendentale Straßenverkehrsordnung!
Die Geschichte der polnischen Reinigungskraft berührt, hmm.. klingt nach ARD Mittwochabend Film, sehe die Figuren vor mir.. ist echt ausbaubarer Stoff - sie hat sich auch noch geschmackssicher den besten Whiskey rausgesucht...
und auch hier..ich weiß gar nicht warum ich das nicht schlimm finde (bin hier bei Kohlberg Nummer 3 wahrscheinlich)
Vielleicht ist es der fehlende enge persönliche Bezug zum Whiskey, bei Hackpampe - das schmerzt ;-)
Aber nein ich weiß es: Menschen die man bezahlt damit sie die eigene Wohnung reinigen sind für mich näher als Bofrostfahrer.. hatte bezahlte Hilfe als ich sehr früh arbeiten musste. Die Frauen standen am Frühstückstisch und flochten die Haare der Mädchen. das hat mich gerührt. Allen heimlichen Whiskey der Welt für sie...
NeonWilderness - 2021/02/12 14:19

B. war in der Tat Expertin in Alkohol und fand zielsicher immer den besten Stoff, was gleichzeitig auch eines ihrer Probleme war, da dies ihr viel zu enger persönlicher Betäubungshelfer für seelische Wunden geworden war (2 Kinder, bei Oma, und einen Schlägerpolizstenehemann in Polen). Manchmal stolperte sie vormittags ins Haus, angetruschelt, leicht wippend, als wenn sie grad aus einer durchzechten Düsseldorfer Bahnhofskneipe gefallen wäre, und doch hatte sie auch soviel Liebe in sich, begrüßte und überschüttete unseren Kampflabbi jedesmal mit Leckerchen und Streicheleinheiten als wenn es ihr eigener wäre.

Sie hatte ein großes Herz aber eben auch lockere Finger, wie eine Nachbarin berichtete (bei der sie auch arbeitete), und der plötzlich Handtaschen, Schals, Schuhe, Mäntel usw. fehlten (aber herrje, die Fashion-Victim-Nachbarin hatte eh viel zu viel davon).

Ich möchte daran glauben, dass sie, zurück in Polen, ein glückliches Leben mit ihren Kindern führte, vom Alkohol wegkam, ihren Arschlochmann in Ketten legte und nie mehr irgendwas stibitzte.

P.S. Zu meiner persönlichen STVO schweige ich aus Anstandsgründen und Respekt vor einem Tsunami an Knöllchen.

Inspriration

53B7B6BF-D12B-480F-B753-A1A86FAD7126

Akutes

In meiner Eigenschaft...
In meiner Eigenschaft als hochnotkompetenter Twoday-Persönlichkeitsbera ter...
NeonWilderness - 2021/06/12 14:19
„Ich schluder traditionell...
„Ich schluder traditionell mit der Dokupflicht der...
C. Araxe - 2021/06/11 19:07
stop this correction
Gehe heut mit Lotte auf ein Konzert. Hab vergessen...
eika - 2021/06/11 09:15
Krümmung
Um halb vier die Nacht zu Ende. Die Unvereinbarkeit...
eika - 2021/06/07 08:57
Ein Synonym für lasst...
Ein Synonym für lasst hundert Blumen blühn
eika - 2021/06/06 11:42

♥ ♥ ♥

Suche

 

kontakt

per Brieftaube

Archiv

Februar 2021
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 1 
 5 
 9 
11
13
14
15
17
20
21
23
25
27
 

Status

Online seit 7684 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2021/07/15 02:01

RSS-Feeds abbonieren


xml version of this page

Aktualgenese
Amikaro
angeführtes
arbeitsteilig
das erste mal
das kind
erkannt
festgehalten
gemeinsam wohnen
gestalten
Herkunft
hoert hoert
interna
offene Fragen
pastoral
seht seht
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
development