loslassen / Augen und Stimmen
"Darf ich mich vor dich legen?"
"Nein."
Nicht sanft. Ein resolut hallenendes Nein, begleitet von einer sich bildenden Zornesfalte. Die Brauen zusammengezogen mit darunter verengten Augen. Die schauen weg, nicht mal kurz zu ihr. Augen, die gar nicht da sind, nichts wollen und nichts brauchen.
Die Augen schauen ein YouTubeVideo, eine Besprechung von Hilma af Klints Ausstellung im Guggenheim. Er hat das angemacht um nicht zu reden. Schon vor dem Frühstück. Es muss immer noch etwas mit im Raum sein. Fluchtpunkte.
Zuvor war sie laufen und einkaufen als er noch schlief. Sie hat extra viel Frühstück gemacht, damit noch was da ist, wenn sie geht.
Damit was bleibt.
Das Video ist gut, fesselt sie auch. Hilmas Werke sind neu für sie. Und es faszinieren die leise anklingenden Seelenzustände, das Füllhorn ihrer Bilder und Stile und besonders ihre Bemühungen die Welt größer zu machen. Die Darlegungen und das Auge des Besprechenden, aus dem Bauch heraus wortreich und detailliert mit Einblick, nehmen mit und tragen davon.
Sie sagt ihm nichts davon. Ihre Stimme ist verloren gegangen. Die Kälte und Unsicherheit haben einen dicken Schleier gelegt über alles Spontane, Lebendige und Sprießende. Und so kommt sie sich vor wie ein seelenloses Geschöpf, das gesteuert wird von einer Kommandozentrale im Modus Funktionieren und Schutz, um möglichst keine Angriffsfläche zu bieten.
Hinter dieser Fassade fühlt sie eine Menge Dinge, die sie nicht fühlen will. Sie fühlt, dass sie eine beschädigte Person ist, die nichts verdient. Dort ist es einsam. Einsamer als alles was sie kennt. Dort ist niemand mit ihr. Da kann sie nicht bleiben.
Daher ein letztes Auflehnen raus aus dieser verlassenen Zone mit der Offenlegung der größten aller Angriffsflächen.
"Nein."
Und sie sitzt auf dem Sofa. Er liegt neben ihr, die Decke weit hochgezogen. Die Falten der Stirn glätten sich. Er schläft ein. Sie starrt geradeaus, nimmt diesen Raum wahr: diesen Schuhkarton aus braun und Holz und ockerfarbenen Vorhängen, ungestrichenen Wänden und seelenlosen Büchern. Leises Schnarchen. Auf dem Schreibtisch, das Buchstabierspiel und die Triola, die sie mitbrachte um happy birthday zu spielen: grün grün gelb…..
Sie holt tief Luft, richtet sich auf. Mit drei großen leisen Schritten ist sie am Tisch und nimmt ihre Habseligkeiten, quert den Raum erneut und schleicht leise aus dem Zimmer in den Flur. Boden und Tür knarren und quietschen. Es ist hellhörig im Altbau. Sie stopft noch Verbliebenes in den Rucksack. Dann nimmt sie seinen Teddy, drückt ihn, und legt ihn ins Bett. Auf dem Küchentisch hinterlässt sie einen Zettel.
Bin los, danke für die Pause.
Das ist von der Kommandozentrale geschrieben und dem Gestaltschließungszwang geschuldet. Sie öffnet die Wohnungstür, tritt heraus und schließt sie leise. So stehend, den dicken Mantel, Mütze und Taschen richtend, überlegt sie ob sie das tun kann, ihn so zurücklassen kann. Aber was sonst? Und wie weh würde dieses sonst tun?
Eine Sekunde später hört sie wie er innen die Zimmertür öffnet, in seinen kleinen Flur tritt. Eine Wand aus vier Zentimeter dickem Wohnungstürholz zwischen ihnen. Er macht einen erstickten kehligen Laut, den sie nicht einordnenn kann und an den er sich nicht erinnern wird.
Seine Stimmbänder, die Schallquelle, von der aus sich kleinste Druck- und Dichteschwankungen in der Luft ausbreiten, wellenförmig durch die Tür dringen und schließlich in ihr Ohr, an ihr Trommelfell. Und wie angeschoben bewegt sich das Geschöpf, geht die geschwungene Treppe nach unten, ihre Stiefeletten ein eiliges Staccato, und tritt hinaus auf die Straße, die sie nun schon so gut kennt. Und sie empfindet Erleichterung. Doch gleichzeitig überfielen sie mit seiner Schallwelle Wogen der Traurigkeit und Trostlosigkeit, ihre neuen Wegbegleiter - hier und jetzt durch die Stadt und später noch mehr auf der langen, ziellosen Autofahrt und später danach noch viel mehr.
Nun sind die Straßen schwarz und nass und mit jeder Ausatmung fühlt sie bewusst das schwere Herz in ihren Händen, welches sie den ganzen Besuch über so freimütig vor sich her trug. Und mit ihren Taschen trägt sie es nun über den großen Platz im Nieselregen bis in die Tiefgarage.
Aber sie denkt auch an ihre gerade sehr ferne Welt zu Hause. In dieser Welt da sind Menschen, die sie lieben. Menschen, für die sie Verantwortung trägt und für die sie wichtig ist und nicht austauschbar. Menschen, denen sie erzählen kann, wenn sie was Dummes macht oder ihr Unrecht geschieht oder beides und die mit ihr traurig sind. Menschen, die sich auch freuen mit ihr und auch von Schönem getragen und angesteckt werden können. Und andersherum ist es auch immer so gewesen. Da ist Schwingung. Da ist Liebe.
Und sie wird noch ein paar Wochen oder gar Monate damit beschäftigt sein das Herz wieder in ihrer Brust zu verstauen.
Und um einen Umgang zu finden
wird sie schreiben.
"Nein."
Nicht sanft. Ein resolut hallenendes Nein, begleitet von einer sich bildenden Zornesfalte. Die Brauen zusammengezogen mit darunter verengten Augen. Die schauen weg, nicht mal kurz zu ihr. Augen, die gar nicht da sind, nichts wollen und nichts brauchen.
Die Augen schauen ein YouTubeVideo, eine Besprechung von Hilma af Klints Ausstellung im Guggenheim. Er hat das angemacht um nicht zu reden. Schon vor dem Frühstück. Es muss immer noch etwas mit im Raum sein. Fluchtpunkte.
Zuvor war sie laufen und einkaufen als er noch schlief. Sie hat extra viel Frühstück gemacht, damit noch was da ist, wenn sie geht.
Damit was bleibt.
Das Video ist gut, fesselt sie auch. Hilmas Werke sind neu für sie. Und es faszinieren die leise anklingenden Seelenzustände, das Füllhorn ihrer Bilder und Stile und besonders ihre Bemühungen die Welt größer zu machen. Die Darlegungen und das Auge des Besprechenden, aus dem Bauch heraus wortreich und detailliert mit Einblick, nehmen mit und tragen davon.
Sie sagt ihm nichts davon. Ihre Stimme ist verloren gegangen. Die Kälte und Unsicherheit haben einen dicken Schleier gelegt über alles Spontane, Lebendige und Sprießende. Und so kommt sie sich vor wie ein seelenloses Geschöpf, das gesteuert wird von einer Kommandozentrale im Modus Funktionieren und Schutz, um möglichst keine Angriffsfläche zu bieten.
Hinter dieser Fassade fühlt sie eine Menge Dinge, die sie nicht fühlen will. Sie fühlt, dass sie eine beschädigte Person ist, die nichts verdient. Dort ist es einsam. Einsamer als alles was sie kennt. Dort ist niemand mit ihr. Da kann sie nicht bleiben.
Daher ein letztes Auflehnen raus aus dieser verlassenen Zone mit der Offenlegung der größten aller Angriffsflächen.
"Nein."
Und sie sitzt auf dem Sofa. Er liegt neben ihr, die Decke weit hochgezogen. Die Falten der Stirn glätten sich. Er schläft ein. Sie starrt geradeaus, nimmt diesen Raum wahr: diesen Schuhkarton aus braun und Holz und ockerfarbenen Vorhängen, ungestrichenen Wänden und seelenlosen Büchern. Leises Schnarchen. Auf dem Schreibtisch, das Buchstabierspiel und die Triola, die sie mitbrachte um happy birthday zu spielen: grün grün gelb…..
Sie holt tief Luft, richtet sich auf. Mit drei großen leisen Schritten ist sie am Tisch und nimmt ihre Habseligkeiten, quert den Raum erneut und schleicht leise aus dem Zimmer in den Flur. Boden und Tür knarren und quietschen. Es ist hellhörig im Altbau. Sie stopft noch Verbliebenes in den Rucksack. Dann nimmt sie seinen Teddy, drückt ihn, und legt ihn ins Bett. Auf dem Küchentisch hinterlässt sie einen Zettel.
Bin los, danke für die Pause.
Das ist von der Kommandozentrale geschrieben und dem Gestaltschließungszwang geschuldet. Sie öffnet die Wohnungstür, tritt heraus und schließt sie leise. So stehend, den dicken Mantel, Mütze und Taschen richtend, überlegt sie ob sie das tun kann, ihn so zurücklassen kann. Aber was sonst? Und wie weh würde dieses sonst tun?
Eine Sekunde später hört sie wie er innen die Zimmertür öffnet, in seinen kleinen Flur tritt. Eine Wand aus vier Zentimeter dickem Wohnungstürholz zwischen ihnen. Er macht einen erstickten kehligen Laut, den sie nicht einordnenn kann und an den er sich nicht erinnern wird.
Seine Stimmbänder, die Schallquelle, von der aus sich kleinste Druck- und Dichteschwankungen in der Luft ausbreiten, wellenförmig durch die Tür dringen und schließlich in ihr Ohr, an ihr Trommelfell. Und wie angeschoben bewegt sich das Geschöpf, geht die geschwungene Treppe nach unten, ihre Stiefeletten ein eiliges Staccato, und tritt hinaus auf die Straße, die sie nun schon so gut kennt. Und sie empfindet Erleichterung. Doch gleichzeitig überfielen sie mit seiner Schallwelle Wogen der Traurigkeit und Trostlosigkeit, ihre neuen Wegbegleiter - hier und jetzt durch die Stadt und später noch mehr auf der langen, ziellosen Autofahrt und später danach noch viel mehr.
Nun sind die Straßen schwarz und nass und mit jeder Ausatmung fühlt sie bewusst das schwere Herz in ihren Händen, welches sie den ganzen Besuch über so freimütig vor sich her trug. Und mit ihren Taschen trägt sie es nun über den großen Platz im Nieselregen bis in die Tiefgarage.
Aber sie denkt auch an ihre gerade sehr ferne Welt zu Hause. In dieser Welt da sind Menschen, die sie lieben. Menschen, für die sie Verantwortung trägt und für die sie wichtig ist und nicht austauschbar. Menschen, denen sie erzählen kann, wenn sie was Dummes macht oder ihr Unrecht geschieht oder beides und die mit ihr traurig sind. Menschen, die sich auch freuen mit ihr und auch von Schönem getragen und angesteckt werden können. Und andersherum ist es auch immer so gewesen. Da ist Schwingung. Da ist Liebe.
Und sie wird noch ein paar Wochen oder gar Monate damit beschäftigt sein das Herz wieder in ihrer Brust zu verstauen.
Und um einen Umgang zu finden
wird sie schreiben.
eika - 2021/02/03 00:35