der Habitus der Nachbarn
Die Nachbarn geben mir Rätsel auf.
Sie passen einfach in gar kein Schema, was natürlich ihr gutes Recht ist. Ich frage mich ob hier Bourdieu nun failed oder eben gerade nicht.
Beide sind Ende 30. Sie ist Juristin, er ist Dr. der Physik. Vor ein paar Jahren kauften sie die Jugendstilvilla mit großem Waldgrundstück und eigenem Teich von nebenan. Nun ging es los das dort Pressspahn in Eiche-Nachbildung einzog, zusammen mit verchromten Oberflächen, Kunstorchideen und Wandtattoos. Sitzlandschaft in futuristischem Design. Wellblechdach über dem Eingangsportal. Und nach und nach wurde dem Haus sämtlicher Stil der Vorbesitzerarchitektin geraubt. Besuche lassen das Herz bluten. Vor die Villa, die antike Garage abgerissen, wurden zwei dieser unsäglichen nacktweißen Fertiggaragen gesetzt. Und so ein großer unansehnlicher Heizöltank. Von da aus führt ein langes Edelstahlgeländer (Handlauf mit LED Schlauch umwickelt) über handbehauene Sandsteinstufen hoch zum Haus durch gewaltige Rhododendronbüsche, die schon vor einem Jahrhundert wuchsen und blühten.
Eltern sind sie auch geworden. Das Kind trägt einen Namen mit drei Buchstaben, der so generisch ist, dass ich ihn mir nie merken kann. Gestern haben sie dann einen augenverblitzenden Edelstahlschornstein an die Jugendstilfassade montiert. Wenn das schon keine Gesetze verletzt dann aber alle Regeln des guten Geschmacks.
Auch sind die Nachbarn sehr der örtlichen Exportbierbrauerei zugetan - ab mittags sieht man sie mit Flaschenabfüllungen derselbigen durchs Gelände laufen. Miteinander wird eher weniger gesprochen, wenn dann Sachebene. Privat tragen sie ausschließlich schwarze unisex Arbeitskleidung aus Vlies in diversen Stadien des Zerfalls. Mittwochs wird der Bachelor geschaut.
Hier zeigt sich entgegen Bourdieus Annahmen absolut keine Abgrenzung, kein Distinktionsverhalten. Es ist als würden sie nicht über ihre Kleidung, ihren Habitus oder bestimmte Codes Merkmale ihrer Schicht generieren. Sie sind quasi schichtlos- und geschmacklos - aber da spricht auch nur die stark Distinguierte aus mir. Denn was ich Geschmack nenne ist ja auch nur antrainierte, erfahrene, abgeschaute und erlebt-interpretierte Ästhetik und Duktus bestimmter Gruppen. Lebensstil, der sich an den Standards der nicht erreichten Oberschicht orientiert. So ein bisschen schick, ein bisschen linksgrünversifft, ein bisschen artsy, ein bisschen nachhaltig, ein bisschen handy, ein bisschen der-Volvo-weicht-der-Vernunft, unbedingt Vintage-Kindernamen, ein bisschen hipster. Muss mir meine Freunde doch nur anschauen...
Abseits meiner Schilderungen, die eigentlich kein Verriss sein sollen (!) sind die Nachbarn wirklich sehr sehr nett. Aber wenn sie einladen, hab ich meistens doch schon was vor.....
Sie passen einfach in gar kein Schema, was natürlich ihr gutes Recht ist. Ich frage mich ob hier Bourdieu nun failed oder eben gerade nicht.
Beide sind Ende 30. Sie ist Juristin, er ist Dr. der Physik. Vor ein paar Jahren kauften sie die Jugendstilvilla mit großem Waldgrundstück und eigenem Teich von nebenan. Nun ging es los das dort Pressspahn in Eiche-Nachbildung einzog, zusammen mit verchromten Oberflächen, Kunstorchideen und Wandtattoos. Sitzlandschaft in futuristischem Design. Wellblechdach über dem Eingangsportal. Und nach und nach wurde dem Haus sämtlicher Stil der Vorbesitzerarchitektin geraubt. Besuche lassen das Herz bluten. Vor die Villa, die antike Garage abgerissen, wurden zwei dieser unsäglichen nacktweißen Fertiggaragen gesetzt. Und so ein großer unansehnlicher Heizöltank. Von da aus führt ein langes Edelstahlgeländer (Handlauf mit LED Schlauch umwickelt) über handbehauene Sandsteinstufen hoch zum Haus durch gewaltige Rhododendronbüsche, die schon vor einem Jahrhundert wuchsen und blühten.
Eltern sind sie auch geworden. Das Kind trägt einen Namen mit drei Buchstaben, der so generisch ist, dass ich ihn mir nie merken kann. Gestern haben sie dann einen augenverblitzenden Edelstahlschornstein an die Jugendstilfassade montiert. Wenn das schon keine Gesetze verletzt dann aber alle Regeln des guten Geschmacks.
Auch sind die Nachbarn sehr der örtlichen Exportbierbrauerei zugetan - ab mittags sieht man sie mit Flaschenabfüllungen derselbigen durchs Gelände laufen. Miteinander wird eher weniger gesprochen, wenn dann Sachebene. Privat tragen sie ausschließlich schwarze unisex Arbeitskleidung aus Vlies in diversen Stadien des Zerfalls. Mittwochs wird der Bachelor geschaut.
Hier zeigt sich entgegen Bourdieus Annahmen absolut keine Abgrenzung, kein Distinktionsverhalten. Es ist als würden sie nicht über ihre Kleidung, ihren Habitus oder bestimmte Codes Merkmale ihrer Schicht generieren. Sie sind quasi schichtlos- und geschmacklos - aber da spricht auch nur die stark Distinguierte aus mir. Denn was ich Geschmack nenne ist ja auch nur antrainierte, erfahrene, abgeschaute und erlebt-interpretierte Ästhetik und Duktus bestimmter Gruppen. Lebensstil, der sich an den Standards der nicht erreichten Oberschicht orientiert. So ein bisschen schick, ein bisschen linksgrünversifft, ein bisschen artsy, ein bisschen nachhaltig, ein bisschen handy, ein bisschen der-Volvo-weicht-der-Vernunft, unbedingt Vintage-Kindernamen, ein bisschen hipster. Muss mir meine Freunde doch nur anschauen...
Abseits meiner Schilderungen, die eigentlich kein Verriss sein sollen (!) sind die Nachbarn wirklich sehr sehr nett. Aber wenn sie einladen, hab ich meistens doch schon was vor.....
eika - 2021/02/24 09:23